25. Februar 2015
Zuwendungslernen: Computerspiele ‚belohnen’ Erfolge durch höhere ‚Levels’, die mit Informations- bzw. Machtzuwachs verbunden sind. Lernen durch Nachahmung: Filme, animierte und interaktive Spiele sowie Chat-Foren bieten faszinierende und einfach zu verstehende Vorbilder an. Symbolvermitteltes Lernen: Die intelligenteren Spiele erzeugen variable und kontext-sensitive Ansagen, Kommentare und immer realistischere Interaktion. Über diese Techniken werden die Intensität des Bezuges und damit auch die Affinität des Nutzers gesteuert.
Medien – wie Kinder und Jugendliche sie nutzen
Jugendliche sitzen heute eine Dreiviertelstunde am Tag vor dem PC, das Internet nutzen sie doppelt so lange. An schulfreien Tagen – immerhin 135 im Jahr! – steigt die Nutzungsdauer noch. Etwa 10% der 11- 14Jährigen sind exzessive Mediennutzer. Jeder 4. Erstklässler, jedes 2. Kind, zwei von drei Jugendlichen (jeweils mehr Jungen als Mädchen) haben ein Fernsehgerät im Kinderzimmer: Sobald dies der Fall ist, steigt der Konsum um eine Stunde, der Konsum die Entwicklung beeinträchtigender Filme und Spiele verdoppelt sich, und die Eltern können den Medienkonsum ihrer Kinder nicht mehr einschätzen. Kinder von Eltern mit niedrigem Bildungsstand haben dreimal mehr Geräte in ihrem Zimmer als Kinder von Eltern mit hohem Bildungsstand. (Der Bildungsstand allein macht etwa eine Notenstufe aus.) 40% der Eltern kümmert der Medienkonsum ihrer Kinder wenig bis gar nicht. Risiken für einen hohen Medienkonsum sind ein niedriger Bildungsstand, Übergewicht oder psychosoziale Störungen der Eltern und bei Jugendlichen eine niedrige Bildung, Dissozialität, Ängstlichkeit und Isolation (Handys haben Kinder im Alter von 8 Jahren zu 25%, mit 12 Jahren zu 75% und mit 14 Jahren zu 90%.)
Medien – wie sie auf Minderjährige wirken
Geräte im Kinderzimmer von Vorschulkindern beeinträchtigen die Sprachentwicklung, die Aufmerksamkeit und die Schulleistungen bei 28-45% der Kinder. Der Durchschnitt sinkt um eine halbe Note oder mehr (besonders bei langem Konsum und durch verbotene Spiele). Die seit Jahren zu beobachtende ‚Leistungskrise der Jungen’ geht auch auf den relativ höheren Medienkonsum von Jungen zurück, der zu verringerten Leistungen im Vergleich zu Mädchen führt: Daraus folgen Sitzenbleiben (Mädchen zu Jungen: 62/38%), Schulabbruch (64/32%), geringere Schulabschlüsse (Abitur: 57/43%) und weniger Studenten (NCGewinnerinnen).
Antisoziales Verhalten und Jugendkriminalität gehen zurück auf geringeres soziales Training, schlechte Schulnoten, Gewaltfilme oder -spiele. Andere wichtige Faktoren sind geringe Bildung, Migration und konkret erlebte Gewalt bei Eltern oder Freunden. Körperliche Folgen sind Übergewicht, Bluthochdruck, Rauchen, Kopf-, Augen-, Nacken- und Rückenschmerzen; Schlafstörungen, Schulleistungsmängel, Isolation, Rückzug, Traurigkeit. Pädagogisch wertvolle Sendungen verbessern dagegen die kognitive, emotionale und soziale Entwicklung.
Medien und psychische Störungen
Der Umgang mit Medien spiegelt soziale Verhältnisse wider, v.a. die Bedeutung der Bezugspersonen und ihrer Lebensentwürfe (Bildung, Freizeit, Erziehung...). Bei den Kindern entstehen nach dem Konsum bestimmter Filme (Zeichentrickfilme und andere Sendungen mit rascher Schnittfolge, unrealistisch vielen Höhepunkten und Themen) akute Konzentrationsund Motivationsschwächen. Chronisch hoher Medienkonsum löst Bildungsmüdigkeit aus und beeinträchtigt sinnvolle Freizeitstrukturen. Sekundär erzeugen Leistungsmängel Spannungen, die unzureichend reguliert werden.
Schlafmangel, verschobene Zeit- und Lernstrukturen, mangelnde prosoziale Interessen und Vereinsamung verringern die emotionale Toleranz. Die ‚mediogene Bindungsstörung’ entsteht durch einen Teufelskreis aus mangelndem Anspruch und geringer Disziplin, Gewohnheit, fehlender sozialer Übung, Verlust von Interessen und Freunden. Suchtverhalten erwächst u.a. aus der Illusion medialer ‚Anforderungen’, die erfolgreich bewältigt werden, dabei aber viel Zeit kosten und den Nutzer schleichend isolieren. Medien können auch anstecken: Selbstverletzung, Essstörungen und Schulvermeidung sind Themen, die im Internet in eigenen Foren eine Subkultur leiten. Medienmotivierte Gewalt ist schwer nachzuweisen, sie tritt aber ab und zu in offensichtlicher und fataler Weise auf.
Prävention
Eltern müssen sich um den Medienkonsum ihrer Kinder kümmern, denn Fernsehzeiten im Kindes- und Jugendalter sagen die Bildungskarriere gut voraus. TV- und elektronische Spielgeräte gehören nicht ins Kinderzimmer. Medien sind für Vorschulkinder bis auf Ausnahmen (die immer begleitet werden müssen) nicht geeignet, und Schulkinder sollten höchstens eine Stunde am Tag geeignete Sendungen sehen oder Spiele nutzen. Jede zusätzliche Stunde senkt die Schulleistungen im Schnitt um eine Note, schadet durch Fehlernährung, mangelnde Bewegung, geringere motorisch-koordinative Fähigkeiten und verringert das soziale Übungsfeld. Kinderärzte, Kindergarten und Schule sollen früh auf die kognitive, emotionale und soziale Deprivationsgefahr durch Medien hinweisen. Bei jeder Schulvermeidung muss durch die Lehrer der Medienkonsum erhoben werden.
Kinder benötigen stabile Tagesstrukturen (Schlaf, Schule, anteilig Haushalt, Freizeit). Schulvermeidung bei Mediensucht bedarf einer raschen, in der Regel kurzen und konsequenten Behandlung der gesamten Familie. Bei der Elternarbeit helfen Offenheit, Realismus, Lösungsorientierung, Information und Reflexion (Elternabende, eigene Medienbiographie...). Politisch müssen der Jugendschutz-Staatsvertrag (TV), das Jugendschutzgesetz (Videos, DVD, Computerspiele) und der Jugendmedienschutz konsequent umgesetzt werden. Medienerziehung handelt von unterschiedlichen Medienformen (Filme, Spiele, Internet, Werbung, Telefon), einer bedachten Nutzung (d.h. sorgfältige Auswahl für Bildung und Freizeit mit Blick auf die Suchtgefahr), bewusster Reflexion und Kritik von Mediengestaltung und Inhalten und einem altersangemessenen Umgang. Dieser hängt v.a. von der Reife der Wahrnehmung, der emotionalen Beteiligung und kognitiven Verarbeitung des Kindes und der Eltern sowie dem Alltagsbezug, der Abstraktion und dem möglichen Transfer der Medieninhalte ab.
Medien und Gewalt
Das Thema ‚Medien und Gewalt’ wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Die einen sehen keinerlei Zusammenhang, die anderen eine unmittelbar ursächliche Beziehung zwischen virtueller und realer Gewalt. Dabei ist zu beachten, dass die Forschung über dieses Thema zum weit überwiegenden Anteil industrieabhängig ist. Wie reagieren wir selbst, nachdem wir dramatisierte Gewaltdarstellungen konsumiert haben? Wie reagieren wir, wenn wir selbst elektronisch-interaktiv gespielt haben (mit bzw. ohne Gewalt)?
Im Jahre 1999 gab es ein Massaker in Bad Reichenhall: Martin P., 16 Jahre, war für vier Tote (einschließlich seiner Schwester und sich selbst) sowie zwei Schwerverletzte verantwortlich. Er galt als Einzelgänger und bevorzugte gewalttätige Computerspiele. Er benutzte die Waffe seines Vaters. Im Jahre 2002 kam es in Erfurt zu einem Amoklauf durch den 19jährigen Robert S. mit 16 Todesopfern (und Selbstmord). Es wurde über ein ‚kaltes’ Familienklima berichtet, der Amokläufer sei schulisch überfordert gewesen. Er sei in seinem Schützenverein ein guter Schütze gewesen. Nach einem demütigenden Erlebnis – direkt vor dem Abitur sei er der Schule verwiesen worden – schien er das Gefühl der Ausweglosigkeit in Allmachtsfantasien umgesetzt zu haben. Im Jahre 2006 stürmte der 18jährige Sebastian B. schwerbewaffnet die Geschwister-Scholl-Schule in Emsdetten. Es gab Verletzte, er brachte sich um. Er galt als Sonderling (Satanist), und auch bei ihm stand eine Demütigung im Hintergrund (fehlender Schulabschluss), aus der heraus er Rache übte.
Amokläufer, wenn sie nicht politisch motiviert sind, erleben Versagen und Vereinzelung, Abwertung, Ohnmacht und Ausweglosigkeit, mithin eine depressive Entwicklung. Deren Taten erscheinen als erweiterte Selbstmorde vor dem Hintergrund von Aggression, Allmachts- und Rachegefühlen. Bahnend wirken die Zugänglichkeit von Waffen und bindende Vorbilder, wie sie auch durch Videospiele eingeübt werden können, die heute die Qualität von Polizei-Simulatoren haben.
Jugendgefährdende Medien
Eltern und Erziehungsberechtigte sind dafür verantwortlich, ihre Kinder vor dem Einfluss jugendgefährdender Medien zu schützen. Jugendliche mit problematischen Lebensumständen sind besonders gefährdet. Gemäß Jugendschutzgesetz (JuSchG) führt die Bundesprüfstelle eine im Internet einsehbare Liste jugendgefährdender Medien (Druckschriften, Ton- und Bildträger und Internet-Angebote). Indizierte Medien dürfen Minderjährigen nicht angeboten oder zugänglich gemacht werden und auch nicht öffentlich beworben werden. Vor einer Indizierung müssen Fragen der Meinungsäußerungsfreiheit und der Kunstfreiheit mit dem Jugendschutz abgewogen werden.
Indiziert werden Gewaltdarstellung in epischer Breite, als vorrangiges Konfliktlösungsmittel (auch scheinbar im Namen des Gesetzes), Selbstjustiz, Mord und Metzelszenen, Anreizen zum Rassenhass, NS-Verherrlichung, Darstellung von Sexualität mit ethisch nicht vertretbarer Einstellung, Entwürdigung, diskriminierende Praktiken, Sadismus. Schwer jugendgefährdend sind die folgenden Darstellungen: Propagandamittel verfassungswidriger Organisationen, die Leugnung des Holocaust und Volksverhetzung, die Anleitung zu schweren Straftaten, die verherrlichende, verharmlosende oder menschenunwürdige Schilderung grausamer Gewalttätigkeit, die Verherrlichung des Krieges, Pornographie und sexuelle Gewalt, v.a. auch mit Kindern, die menschenunwürdige Darstellung leidender Menschen ohne berechtigtes Interesse an dieser Darstellungsform und eine offensichtliche schwere Gefährdung der Entwicklung und Erziehung von Kindern oder Jugendlichen.
Schlussfolgerungen
Der vorhandene Jugendschutz (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle USK, Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Medien BPJM, Jugendmedienschutzstaatsvertrag JMStV) ist ausreichend, er muss nur konsequent umgesetzt werden. Unabhängige Forschung sollte gefördert werden. Die Gefährdung muss politisch und flächendeckend (d.h. auch gemeindenah) in Gesundheit (Primärärzte) und Bildung (Kindergärten und Schulen) verdeutlicht werden. Zuwendung (Versorgung, Aufmerksamkeit) und Strukturen als Erziehungsmerkmale müssen gefördert und gestärkt werden. Besonders die Professionellen müssen die medialen Gefahren beachten und thematisieren, z.B. in Elternkonferenzen. Medienerziehung muss ein ständiges pädagogisches Thema in Familie, Kindergarten und Schule sein. Medien können ursächlich zu psychosozialen Störungen beitragen (Konzentrations- und Leistungsmängel, emotionale Unsicherheit, Sucht, Isolation; Selbstverletzung, Essstörungen, Schulvermeidung). „Manche Formen von Mediengewalt können für manche Individuen unter manchen Bedingungen negative Folgen nach sich ziehen.“ (BM für Familie, Senioren, Frauen und Jugend).
Quelle:
http://www.diako-online.de/Klinik-fuer-Kinder.6449.0.html